Die koloniale Vergangenheit Deutschlands

Die koloniale Vergangenheit Deutschlands ist heute weitgehend in Vergessenheit geraten. Tatsächlich besaß das Deutsche Reich von den 1880er Jahren bis zum Ersten Weltkrieg das nach Großbritannien und Frankreich flächenmäßig drittgrößte Kolonialreich. Nachdem Reichskanzler Bismarck sich zunächst gegen koloniale Erwerbungen ausgesprochen hatte, erwarb Deutschland ab 1884 eine Reihe von kolonialen Besitzungen in Afrika, Ostasien und im Pazifikraum. Wirtschaftlich blieben die deutschen Kolonien mit Ausnahme des kleinen Togos und Samoas ein Zuschussgeschäft. Für nationalistisch eingestellte Kreise war jedoch der Kolonialbesitz im imperialistischen Zeitalter eine Prestigefrage. Für die kolonisierten Völker war die Phase der Kolonialherrschaft oft eine Tragödie bis hin zum Genozid, wie an den Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika, der Zerstörung ihrer traditionellen Lebensgrundlagen, der Unterdrückung ihrer Kultur und Religion, dem Raub ihrer Kunst und willkürlichen Grenzziehungen, die Ethnien zerrissen und in fremde Zusammenhänge zwangen. Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurden die deutschen Kolonien binnen weniger Wochen oder Monaten von Deutschlands Kriegsgegnern besetzt. In der Weimarer Republik und auch in der NS-Zeit versuchten mehrere Verbände, den kolonialen Gedanken aufrechtzuerhalten und „trommelten“ für die Rückgabe der verlorenen Gebiete. Spätestens mit Beginn des Zweiten Weltkriegs war jedoch offensichtlich, dass für die NS-Führung für „Lebensraum im Osten“ Priorität vor überseeischen Kolonialbesitzungen hatte.

Karikatur aus der Zeitschrift „Kladderadatsch“ von 1884: Bismarck sieht dem kolonialen Treiben der anderen europäischen Mächte ruhig zu, während er sich den „Socialen Reformen“ widmet: „Mir kann es ganz recht sein, wenn die anderen dort unten Beschäftigung finden. Man hat dann endlich Ruhe hier oben.“

Einführung: 

Kolonialismus in Oldenburg

Anders als in Städten wie Bremen oder Hamburg, die stark vom Überseehandel geprägt wurden, sind die Spuren des Kolonialismus in Oldenburg nicht so augenfällig, aber trotzdem vorhanden. Oldenburger Firmen waren im Handel mit den damaligen deutschen Kolonien involviert, in hiesigen Museen wurden Exponate aus den Kolonien gezeigt, bei der Landesausstellung von 1905wurde ein komplettes „Somali-Dorf“ ausgestellt, mit afrikanischen Menschen als „Ausstellungsstücken“ im Rahmen einer der damals populären „Völkerschauen“. Oldenburg als Garnisonsstadt mit einer Jahrhunderte alten Militärtradition war auch militärisch in den Kolonialismus verstrickt. Soldaten aus Oldenburger Einheiten waren unter anderem an der Niederschlagung der Boxer und der Herero und Nama beteiligt. Aber auch die Zivilbevölkerung vor Ort profitierte von den kolonialen Strukturen: Die Stadt war durchzogen von sogenannten Kolonialwarenläden. Weiterhin gab es mit einem Kolonialverein und einem Kolonialkriegerverein– teilweise mit hochrangigen Personen aus der Stadtgesellschaft besetzt– Orte, an denen in Oldenburg koloniales Gedankengut, auch lange nachdem Ende der Deutschen Kolonialherrschaft nach dem Ersten Weltkrieg, propagiert wurde. Darüber hinaus existierte ein breites kulturelles Angebot an kolonialrassistischer Propaganda: Vom Kino, Theater bis zum Kramermarkt. Und auch während des NS – vor Ort gab es einen Kreisverband des Reichskolonialbundes– ließen die Oldenburger nicht los von ihren kolonialen Fantasien. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich neben dem nationalsozialistischen auch das koloniale Gedankengut unmittelbar fort: Zahlreiche Einladungen, die Kolonial-General Paul von Lettow-Vorbeck aus der Region erhielt, kolonialrassistische Berichterstattungen der hiesigen Zeitung und rassistische Aufzüge beim Kramermarkt und vieles mehr zeigen: In Oldenburg gibt es bis heute zahllose Spuren des Kolonialismus.

Grenzreiter aus Oldenburg in Deutsch-Südwestafrika

Oldenburg als Militärstadt

Oldenburger aus unterschiedlichen Militäreinheiten waren in den sogenannten „Schutzgebieten“ aktiv; „Schutztruppe“ ist ein Euphemismus für Militäreinheiten, welche in den Kolonien gewaltsam die Interessen der Kolonialmachtmilitärisch durchsetzen. Die Schutztruppen waren zum Teil zusammengesetzt aus freiwilligen Angehörigen des Heeres und der Marine, daher waren auch nicht ganze Einheiten aus Oldenburg in den Kolonien stationiert. Vielmehr waren es Soldaten aus bestehenden Einheiten, welche in die Kolonien gingen.

 

Bildquelle: 03.05.1952 Hermann Dobelmann aus Cloppenburg

Soldaten aus Oldenburg und der Region in den Kolonien

Für Oldenburg bedeutete dies, dass z. B. Angehörige des Oldenburgischen Infanterie-Regiments Nr. 91 in den Kolonien dienten. Beispielsweise Hermann Dobelmann aus Cloppenburg. Dobelmann war ab 1895 Soldat des Oldenburgischen Infanterie-Regiments Nr. 91. 1904 wechselte der Feldwebel zur Schutztruppe in Deutsch-Südwestafrika. Dort war er an der Niederschlagung des Herero-Aufstandes beteiligt. Ein weiterer Angehöriger des Oldenburgischen Infanterie-Regiments Nr. 91 ist Gottlieb Feigert. Der Nordenhamer beteiligte sich an der brutalen Niederschlagung des Boxer-Aufstands in China. Soldaten des Oldenburgischen Infanterie-Regiments Nr. 91 waren also in unterschiedlichen Einheiten und Kolonien aktiv.

Bildquelle: NWZ 12.06.1960

Fazit

Die Liste von Soldaten aus der Region in den Kolonien ließ sich weiter fortsetzen. Bis mindestens in den 1960er Jahren (und vermutlich darüber hinaus) galt die Beteiligung an Kolonialverbrechen als heldenhaft und abenteuerlich.

Bildquelle: NWZ 08.09.1960. Auch im Alltäglichen wurde die Beteiligung an Kolonialverbrechen erwähnt.
Mit einem Gedenkstein an der Ofener Straße wird der Kanonier Kleen geehrt. Kleen war Teil der 2. Oldenburger Batterie des Ostfriesischen Feld-Artillerieregiments Nr. 62, welche an der Niederschlagung der Herero beteiligt war.

Verein ehemaliger Kolonialkrieger

In Oldenburg gab es ab 1912 den Verein ehemaliger Kolonialkrieger. Bis mindestens Juli 1952 hatte der Verein Bestand und noch etwa 20 Mitglieder. Im Gasthaus Keppel in der Lindenstraße trafen sich die ehemaligen Soldaten zum Austausch und zur Mitgliederanwerbung. Dort gab es auch einen Gruß vom Kolonial-Kriegsverbrecher General Lettow-Vorbeck, der u. a. als Adjutant an dem Genozid an den Herero und Nama beteiligt war und einen verbrecherischen Krieg in „Ostafrika“ führte.

In der NWZ schien es ebenfalls eine gewisse Sympathie für den ehemaligen Kolonialkrieger Lettow-Vorbeck zu geben, wie der untenstehende Bericht zum besagten Treffen zeigt.

Hermann Schmidt: NWZ vom 14.08.1952

Im Juni 1960 durften die ehemaligen Kolonialkrieger dann auch ihre Fahne auf dem Pferdemarkt präsentieren. Dort gab es eine Feier zu Ehren des 91. und des 16. Infanterieregiments. Der ehemalige Kommandant General Hans Kreysing, welcher unter anderem als Wehrmachtsangehöriger am Polenfeldzug beteiligt war, hielt dort einen Appell und eine Ansprache. Zu seiner Zeit als Kommandeur des 16. Infanterieregiments schwor dieser noch auf „den Führer“ und seinem „unvergleichbaren Mut“. Neben Reichswehr und Wehrmacht waren auch die Oldenburger Polizei und die Bundeswehr hochrangig vertreten. 1960 marschierten folglich auf dem Pferdemarkt viele Generationen von Sicherheits- und Militärangehörigen aus Oldenburg zusammen, und mittendrin die Kolonialkrieger.

NWZ vom 27.06.1960
Oldenburger Nachrichten für Stadt und Land vom 23.02.1924

Die Oldenburger Kolonialgesellschaft und ihre Mitgliedschaft: Hans Oskar von Lettow-Vorbeck

Am 19.12.1887 wurde die Deutsche Kolonialgesellschaft gegründet. Sie ging aus einer Fusion zwischen der Vereinigung des Deutschen Kolonialvereinsmit der Gesellschaft für deutsche Kolonisation hervor. Ihre Zielsetzung war eine Lobbypolitik für Kolonialbestrebungen und die Bündelung unterschiedliche Akteure auf diesem Feld. Bis 1914 konnte der Verein ca.42.600 Mitglieder gewinnen. In Oldenburg lässt sich ein Ableger der Gesellschaft1892 nachweisen, schon fünf Jahre nach der Gründung der Kolonialgesellschaft im ganzen Deutschen Reich. Erster Vorsitzender in Oldenburg: V. Lettow-Vorbeck. Gemeint ist damit aber nicht der berüchtigte General Paul von Lettow-Vorbeck, sondern sein Onkel Hans Oskar von Lettow-Vorbeck, einem ehemaligen Angehörigen des Oldenburger Regiments 91.Neben seinem Vorsitz in der Oldenburger Kolonialgesellschaft war er auch Verfasser von Studien zur Kolonialgeschichte. Diese koloniale Vergangenheit des Militärs war bisher nicht bekannt. Bis heute wird Lettow-Vorbeck mit einem Gedenkstein in Oldenburg geehrt. Der Militärschriftsteller und pensionierte Offizier verunglückte am 28.03.1904 und wurde in Bremen beigesetzt. Vorbeck war mit seinem Offiziers- und Adels-Status (von Vorbeck gehört zu einem Uradelsgeschlecht) kein untypisches Mitglied in der Kolonialgesellschaft. In der Deutschen Kolonialgesellschaft waren vorwiegend Personenaus dem gehobenen Mittelstand, aber auch Großindustrielle und Adelige organisiert.

Der Gedenkstein ist auch heute noch am Küstenkanal aufzufinden.

Die Oldenburger Kolonialgesellschaft und ihre Mitgliedschaft: Heinrich Theodor Christian Stalling

Heinrich Theodor Christian Stalling (1865 – 1941) war ein Oldenburger Verleger und Besitzer einer Druckerei. 1894 trat er in den Familienbetrieb ein und lenkte den inhaltlichen Schwerpunkt des Verlages in eine militaristische und immer weiter nach rechtsaußen tendierende Richtung. So schrieb für den Stalling Verlag auch Werner Beumelberg, ein deutscher Schriftsteller, welcher 1929 das Buch „Sperrfeuer in Deutschland“ schrieb; „Sperrfeuer in Deutschland“ galt als das Gegenstück zu dem Antikriegsroman „Im Westen nichts Neues”. So verwundert es wenig, dass später in dem nationalkonservativen Verlag auch nationalsozialistische Autorenihren Platz fanden. Bisher unbekannt ist sein Engagement indem Oldenburger Ableger der Kolonialgesellschaft. Hier war er zeitweise stellvertretender Vorsitzender und hatte noch eine weitere wichtige Aufgabe übernommen: So gab es eine Vermittlungsstelle für ehemalige Angehörige der sogenannten „Schutztruppen“ in Oldenburg, welche Stalling leitete. Neben dieser konkreten Hilfe für Kolonialist:innen vor Ort, erschien im Stalling Verlag eine Vielzahl an kolonial-propagandistischem Material.

Tagebuch
herero

Die Oldenburger Kolonialgesellschaft und ihre Mitgliedschaft: Walter Ahlhorn

Auszug aus dem Bundesarchiv, BArch R 8023/258

Ein wichtiges Mitglied in der Kolonialgesellschaft war der 1879 geborene Walter Ahlhorn. 1920 übernahm Ahlhorn den Vorsitz in Oldenburg. Laut seinen Angaben konnte er die Mitgliederzahl von 60 auf 350 steigern. Die Erhöhung der Mitgliederzahl lässt sich zum Teil auch darauf zurückführen, dass der „Verein ehemaliger Kolonialkrieger“ der Gesellschaft beitrat. Neben dieser Vereinigung versuchte die Gesellschaft Mitglieder durch Vorträge zu gewinnen, so wurde etwa der General Lettow von Vorbeck (Kommandeur der Schutztruppen für Deutsch-Ostafrika)nach Jever eingeladen. Vor seiner Tätigkeit als Vorsitzender der Oldenburger Kolonialgesellschaft war Alhorn Bezirksamtmann in Südwest-Afrika(Okhandja). Als Bezirksamtmann war er im höheren Verwaltungsdienst tätig; er  leitete ein Gebiet, welches „die Größe des damaligen Königreiches Württemberg“(NWZ 21.01. 1954) umfasste.

NWZ vom 24.01.1961
NWZ vom 21.01.1954

Während des Ersten Weltkriegs wurde er in Pietermaritzburg (Südafrika) interniert. 1919 kehrte er nach Deutschland zurück und arbeitete in leitender Funktion in einer Tabakfabrik. Er war auch gesellschaftspolitisch hochangesehen, z. B. als Sekretarius der Literarischen Gesellschaft Oldenburg und Ehrenvorsitzender der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger. Darüber hinaus war er von 1945 – 1950 Präsident der Synode der hiesigen Evangelisch-Lutherischen Kirche. Politisch organisiert war er seit 1945 in der CDU. Als der ehemalige Kolonialbeamte, Vorsitzende der Kolonialgesellschaft und Burschenschaftler am 20.01.1961 verstarb, gab es eine Vielzahl von Traueranzeigen unterschiedlicher Organisationen in der NWZ. Über seine Stellung im Nationalsozialismus ist wenig bekannt. Ahlhorn blickte stolz auf seine Zeit in der Kolonie zurück.

Auch der Oldenburger Adel zeigte Interesse an der Kolonialpropaganda Ahlhorns. Bildquelle: Deutsche Kolonialzeitung vom 14.02.1914
Ahlhorn äußerte sich in der Deutschen Kolonialzeitung zu Werbematerial für koloniale Propaganda. Bildquelle: Deutsche Kolonialzeitung vom 20.06.1921
Okahango: Ausflug ca. 1912. Hintere Reihe rechts Walter Ahlhorn, vordere Reihe rechts Frau Ahlhorn, Koloniales Bildarchiv, Universitätsbibliothek, Goethe Universität Frankfurt am Main, Bildnummer: A_00N_2209

Deutsch-Südwestafrika und Oldenburg

Die Deutsche Kolonie „Deutsch-Südwestafrika“ hinterließ auch in Oldenburg ihre Spuren. So gab es z.B. 1904 eine Wohltätigkeits-Vorstellung im Großherzoglichen Theater in Oldenburg für die „Notleidenden in Südwest-Afrika“.

Bildquelle: Anzeige in den Oldenburger Nachrichten für Stadt und Land vom 12.03.1904

Da es zeitlich etwa 2 Monate nach dem Herero-Aufstand stattfand, ist davon auszugehen, dass vermutlich Gelder für die deutschen Siedler: innen vor Ort gesammelt wurden. Darauf deutet auch eine Nachbesprechung des Stückes in den Oldenburger Nachrichten für Stadt und Land vom 19.03.1904 hin: „Es (das Szenenbild) stellte in einer Landschaft an der Meeresküste Germania und den jungen Krieger dar, der für die Ehre der deutschen Waffen auch im fernen Afrika Blut und Leben zu opfern bereit ist. “Weiter heißt es in der Nachschau zu der Veranstaltung: „Das letzte ergreifende Bild, die Samariterin, führte wieder auf den Zweck des Abends zurück; ein verwundeter junger Soldat wird auf afrikanischer Erde von einer Pflegerin gestärkt und behandelt […]. Das Publikum erhob sich und sang eine Strophe des Liedes „Deutschland, Deutschland über alles“, und verlieh so dem Dank und dem patriotischen Gefühl einen erhebenden Ausdruck. Hoffentlich wird auch eine Wiederholung der schönen Vorstellung auf zahlreichen Zuspruch zu rechnen haben.“ Diesen Zuspruch gab es scheinbar durchaus, so wurde auf Wunsch auswärtiger Theaterbesucher: innen die Vorstellung noch einmal aufgeführt.

Bildquelle: Anzeige in den Oldenburger Nachrichten für Stadt und Land vom 12.03.1904

Auf dem Pferdemarkt wurden am 01.10.1904 in einem mobilen Kino „Neuste Aufnahmen vom Herero-Aufstand in Deutsch-Südwest-Afrika“ gezeigt. Der erste Genozid des 20. Jahrhundert war also in Oldenburg keinesfalls ein Geheimnis, sondern einerseits eine nationale Heldengeschichte wie im Theaterstück und andererseits im Kino zu sehen.

Bildquelle: Oldenburger Nachrichten für Stadt und Land vom 01.10.1904

Das Ende der Kolonialgesellschaften

Nach dem Ersten Weltkrieg durfte Deutschland laut Versailler Vertrag keine Kolonien mehr haben, alle „Ansprüche auf überseeische Besitzungen“ wurden aufgegeben. In der Weimarer Republik bestand die Deutsche Kolonialgesellschaft noch fort, aber sie geriet immer mehr in den Hintergrund, weil das Interesse der Öffentlichkeit nachließ. Der Verein wurde nun hauptsächlich von ehemaligen Offizieren und Kolonialbeamten geführt, die nach wie vor die Rückgabe der Gebiete forderten.

Der Reichskolonialbund

 Ab 1933 wurden verschiedenen Kolonialvereine unter dem Reichskolonialbund gleichgeschaltet und zusammengeführt. Wie schon zuvor beschäftigte sich der Bund hauptsächlich damit, verbliebene Siedler:innen in den ehemaligen Gebieten zu unterstützen, sowie mit der Verbreitung von kolonialistischen Ideen durch verschiedene Veröffentlichungen. Zwar organisierte der Verein, der ab dem Jahr 1940 auf 2 Millionen Mitglieder kam, regelmäßig Veranstaltungen und verbreitete Werbung mit Bezug auf die ehemaligen Kolonialgebiete. Aber spätestens ab dem Jahr 1941 wurde klar, dass das Konzept vom „Lebensraum“ des Nationalsozialistischen Regimes auf eine Eroberung im Osten Europas ausgelegt war. 1943 wurde der Reichskolonialbund dann aufgrund von „kriegswirtschaftlichen Gründen“ aufgelöst.

Der Reichskolonialbund in der Region

In Oldenburg gab es einen Kreisverband des Reichskolonialbundes. Besonders viel sind über dessen Aktivitäten in Oldenburg sind bisher nicht bekannt, jedoch lassen sich durch die Anfrage des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung am 28.Juni 1940 an das Ministerium für Schulen und Kirche Rückschlüsse auf die Tätigkeiten des Bundes schließen. Das Ministerium suchte LehrerInnen, welche bereit und für den Kolonialschuldienst einsetzbar wären. Voraussetzung hierfür war unter anderem, dass sie „gesund und tropendienstfähig“ wären und so an einer Schule für „Weiße und Eingeborene“ unterrichten könnten. In der Liste findet sich auch ein Oldenburger Lehrer, Fritz Kuck, welcher 1927 – 1938 in Shanghai als Auslandslehrer tätig war. Auch war er unter anderem Leiter des Nationalsozialistischen Lehrerbund (NSLB) von 1934 – 1937 und von 1934 – 1938 Presseleiter der Landesgruppe der NSDAP in China. Der Reichskolonialbund Delmenhorst schaltete sich in die Anfrage ein, um jemanden für den Lehrerdienst zu empfehlen. Dabei handelt es sich um einen „aus Ostafrika ausgewiesenen Kolonialdeutschen Bullerdiek“. Dieser hatte „den sehnlichsten Wunsch, möglichst bald in ein deutsches Ost-Afrika zurückzugehen“. Vermutlich handelt es sich bei dem ohne Vornamen genannten Bullerdiek um Arthur Bullerdiek. Arthur Bullerdiek fiel 1943 an der Front in Tunesien. Diese Anekdote aus der Tätigkeit des Reichskolonialbundes in der Region zeigt, dass es anscheinend immer noch die Vorstellung gab, dass die verlorenen Kolonien unter dem NS wiedererlangt werden sollen.

Koloniales Bildarchiv, Goethe Universität Frankfurt am Main (Bildnummer: 039-7064-14)

Zeitzeugen Dina und Heinrich Linser

Am 05.05.1882 wurde Heinrich Linser in Köln-Deutz geboren. Sein Vater war Polizist. Heinrich Linser führte diese Tradition fort, in dem er auch 1903 in den Polizeidienst eintrat. 1905 ging er in die Kolonie Deutsch-Südwestafrika als Grenzpolizist bzw. Grenzreiter. Dort war er im Fort Namutoni stationiert. Das Fort diente zur Kolonialzeit als Polizei- und Militärstation (s. u.). Insgesamt verbrachte Linser dort fünf Jahre, von 1905 – 1910. Ob er an dem Genozid an den Herero und Nama beteiligt war, ist nicht bekannt. Auf einem Heimaturlaub lernte er seine spätere Frau kennen und nach ihrer Heirat begleitete sie ihn zurück nach Deutsch-Südwestafrika, wo sie bis zur Einnahme der Kolonie durch die Briten 1915 lebten und dann nach Deutschland zurückkehrten. 1919 kauften sie ein Haus in Streekermoor und zogen dann 1923 in die Donnerschweer Straße nach Oldenburg. Hier arbeitete er als Motorradbote beim Finanzamt. Das Paar hatte vier Söhne. 1946 kam Heinrich Linser bei einem Motorradunfall ums Leben, Dina Linser verstarb 1962. Das Fort Namutoni, in dem Linser stationiert war, wurde 1897 von der deutschen Kolonialverwaltung zunächst als Kontrollstation gegen das Vordringen der Rinderpest errichtet, 1901/02 dann als befestigtes Fort für das Militär ausgebaut und diente so zur Absicherung der Deutschen Kolonialherrschaft. Nach Ausbruch des Aufstands der Herero gegen die Deutsche Kolonialherrschaft 1904 wurde das Fort von Angehörigen des Volks der Ovambo weitgehend zerstört, aber 1905-1907 wieder aufgebaut. Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs diente es als Gefangenenlager für britische Soldaten, bevor es 1915 an das südafrikanische Militär übergeben werden musste. Nach dem Ersten Weltkrieg verfiel es, erst mit der Gründung des Etosha-Nationalparks 1950 wurde es wieder für Besucher:innen hergerichtet und ist heute ein Nationaldenkmal Namibias mit einem Museum.

Angehörige der deutschen "Schutztruppen" in Südwest-Afrika. Bildmitte: Heinrich Linser

Kolonialwarenläden

Bünting

 Als eine Marke, die in der Region sofort wiedererkennbar ist, beginnt Büntings Geschichte 1806, mit der Eröffnung eines Kolonialwarenladens in Leer. In dem Laden in der Brunnenstraße 37 verkauft der aus Edewecht stammende Johann Bünting Tee, Kaffee, Tabak und Gewürze. Nach dem Zweiten Weltkrieg gründete oder übernahm Bünting mehrere Supermarktketten. 1949 eröffnete in Oldenburg in der Staustraße 11 ein Kolonialwarenaden. Am Ort der Firmengründung befindet sich heute „Bünting Coloniale“; „Die J.Bünting Coloniale lässt die Zeit der Colonialwarenläden wieder aufleben“ (Eigenwerbung).

Hoyer

Das Kolonialwarengeschäft der Familie Hoyer wurde bereits 1839 erwähnt. Seit 1872 befand sich das Handelshaus Hoyer in der Ecke Langestraße/Baumgartenstraße in der Oldenburger Innenstadt. Das Geschäft geht auf den Oldenburger Kaufmann Johann Heinrich Hoyer (29.12.1817 – 14.10.1909) zurück, der nebst einer Kolonialwarenhandlung auch eine Weingroßhandlung und einen Weinkeller im besagten Bau unterhielt. Hoyer war einer der erfolgreichsten Geschäftsleute im Oldenburg des späten 19. Jahrhunderts. Dass sein Vermögen dabei zum Teil, wenn auch nicht ausschließlich, auf den Handel mit Kolonialwaren beruht, sollte nicht unberücksichtigt bleiben. Lediglich zwei Schilder erinnern heute noch an den früheren Besitzer und lassen den Zweck dieses Baus erahnen.

Degode

Das Degodehaus am Markt 24 ist eines der ältesten Häuser der Oldenburger Innenstadt. Das unter Denkmalschutz stehende Haus ist das letzte mittelalterliche Patrizierhaus der Stadt und hat den großen Stadtbrand von 1676 überstanden. Erbaut wurde es 1502 von Christoph Sindt. 1860 wurde es vom Jeveraner Kaufmann Dietrich Wilhelm Degode gekauft. Dieser übernahm nicht nur das Haus, sondern auch die sich darin befindende Weinhandlung und baute diese zu einem Kolonial- und Manufakturwarenhandel aus. Das Degodehaus ist bis mindestens einschließlich 1929 als Kolonialwarenhandel geführt. Ab 1930 findet sich vorwiegend die Bezeichnung Manufakturwarenhandel. Zu Beginn der 60er Jahre waren die Räume weitestgehend ungenutzt. Heute befindet sich in dem historischen Bau gegenüber dem Rathause ein Schuhgeschäft und ein Optiker sowie mehrere vermietete Wohnungen. Lediglich der Name Degode verweist noch auf die Verbindungen des Hauses mit der kolonialen Vergangenheit Oldenburgs. Das Haus befindet sich noch heute im Besitz der Familie Degode.  

Kramermarkt

Der Kramermarkt wurde 1608 vom Grafen Anton Günther begründet. Zunächst war er tatsächlich ein Markt zum Handel für Krämer und reisende Händler, ab dem Beginn des 19. Jahrhunderts stellten auch Schausteller:innen ihre Buden, Fahrgeschäfte und Karussells dort auf. Für die Bevölkerung in Oldenburg und Umgebung war und ist bis heute der Kramermarkt das populärste Volksfest im Jahreskalender. Bevor es ortsfeste Kinos gab, konnten Besucher:innen hier auch die Vorstellungen reisender Filmvorführer:innen sehen. In Zeiten, in denen Reisen das Privileg einer kleinen Elite waren und die Mehrheitsbevölkerung kaum über die Gegend ihres Geburtsortes hinauskam, waren „exotische“ Darbietungen aus fernen Regionen eine besondere Attraktion. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert wurden auch Menschen aus Afrika in rassistischer Weise nach Art der beliebten „Völkerschauen“ auf dem Kramermarkt zur Schau gestellt. Schon 1888, kurz nachdem Kamerun deutsche Kolonie geworden war, berichteten die Oldenburger „Nachrichten für Stadt und Land“:

Bildquelle: Nachrichten für Stadt und Land 04.10.1888 "Unsere neuen Reichsangehörigen, Kameruner Neger, welche in einer Bude auf dem Kramerkmarkt zur Schaustellung waren, haben uns bereits wieder verlassen".

Der Autor deutet hier an, die “Kameruner” könnten eventuell in Wirklichkeit schwarz geschminkte Einheimische gewesen sein. Zum Kramermarkt 1893 wurde eine “Negerkarawane” angekündigt:

"Sie besteht aus 12 Personen aus den Innern Ostafrikas unter Führung ihres Häuptlings Jumbo, der ein hervorragender Meister im Fechten und Kavalleriedegen ist. Wie müssen noch hinzufügen, daß diese Truppe nicht sogenannte "wilde" Menschen sind, wie sie sehr oft mit allerlei widerlichen Experimenten erscheinen, sondern Repräsentanten des Suaheli-Völkerstammes, die ihre heimischen Sitten und Gebräuche in eine von der Direktion peinlich überwachten Art und Weise auf das vortrefflichste und der Wirklichkeit entsprechend zur Anschauung bringen." "(...) wer da Lust haben sollte, sich mit Herrn Jumbo aus Ostafrika einzulassen, dem winken 100 Mk. als Belohnung, wenn er denselben im Säbelgefecht besiegt. Wie wir hören, sollen schon mehrere gediente Kavalleristen sich dieser Tage das Vergnügen machen und mit Herrn Jumbo aus Ostafrika einen "Gang" versuchen wollen." Bildquelle: Nachrichten für Stadt und Land 02.10.1893

Als “Reklamegag” engagierten einige Schuhverkäufer 1913 Afrikaner als Schuhputzer in ihren Geschäften:

"Eine geschickte Reklame betreibt hier zurzeit die Nugget-Gesellschaft. In ihrem Auftrage halten sich während der nächsten acht Tage in den Schuhgeschäften von G. Lüers und Wilmsmann an der Langenstraße Neger auf, die jedem, der es wünscht, mit Nugget unentgeldlich die Schuhe putzen. Es wird von dem Rechte ausgiebig Gebrauch gemacht." Bildquelle: Nachrichten für Stadt und Land 05.08.1913
Noch in den 1990er Jahren fuhr auf einem Kramermarktsumzug ein Wagen mit, auf dem weiße Menschen in Blackface als Klischeebild von Afrikanern mitfuhren.

Das Somali-Dorf und die Idee kolonialer Überlegenheit: Ein Blick in die Zeit(ung)

Im Jahr 1905, zum Höhepunkt der deutschen Kolonialbemühungen, fand die Oldenburger Landesausstellung statt. Neben den Ausstellungen gab es weitere große Attraktionen, die Besucher:innen locken sollten. Mit über 150.000 Besucher:innen stellte sich ein „Somali-Dorf“ als die größte Attraktion der Ausstellung heraus. Insgesamt wurden hier 65 Männer, Frauen und Kinder gezeigt. Es handelte sich hier natürlich nicht um eine zusammenhängende Dorfgemeinschaft. Daran wird deutlich, dass nur die koloniale Idee vom Fremden von Interesse war, nicht der tatsächliche Völkeraustausch. Es soll den Besuchern das Gefühl von Authentizität vermittelt werden. So wurde eine „Hochzeit“ im abessinischen Dorf“ als Groß-Event inszeniert und zog so viele Schaulustige an, dass sie zwei Tage später noch einmal wiederholt wurde. Als Erstes soll auf die Berichterstattung zu einer Hochzeit im abessinischen Dorf eingegangen werden, welche als Groß-Event inszeniert wurde und eine so große Menge an Schaulustigen anzog, dass der Festzug zu der Hochzeit zwei Tage später wiederholt wurde. Die Oldenburger Tageszeitung berichtete: „In den Nachmittagsstunden nahm die Hochzeit im abessinischen Dorf das größte Interesse der Besucher in Anspruch. Es war ein genialer Gedanke von Herrn Direktor Porfi, als er die Liebe der braunen Kinder des Südens zu einander entflammen ließ und den Plan faßte, den Oldenburgern eine „Hochzeit in Abessinien“ vorzuführen. Er kennt die Schwäche des Deutschen, für alles Fremde zu schwärmen.“ Ein Beispiel für koloniale Überheblichkeit ist ein Beitrag eines Zahnarztes, der sich über die gute Zahnpflege der Abessinier wundert. So heißt es in der „zahnärztlichen Plauderei“: „An die Möglichkeit, daß unzivilisierte Menschen aus der afrikanischen Wildnis ihre Zähne mit überaus großer Sorgfalt und mit so glänzendem Erfolge pflegen, hatte ich bis dahin nicht gedacht. […] Wir müssen daher anerkennen, daß den Zähnen bei manchen Naturvölkern eine viel größere Beachtung und Wertschätzung von ihren Besitzern zuteil wird, als bei uns kultivierten Menschen, bei denen von einer allgemein eingeführten und zur Sitte gewordenen Zahnpflege nicht im entferntesten die Rede sein kann.“ Natürlich muss aber auch noch erwähnt werden, dass es bei einigen anderen „Naturvölkern“ ganz fürchterliche Unsitten gebe und dass diesen Völkern „jeder gesunde Begriff von dem Zwecke und der Schönheit der Zähne abgeht“. Wir haben also auf der einen Seite das positive koloniale Beispiel der „unzivilisierten“ Abessinier, die sich vorbildhaft um ihre Zähne kümmern. Auf der anderen Seite muss aber auch das negative koloniale Beispiel erwähnt werden, damit das eigene Selbstverständnis nicht zu sehr ins Wanken gerät.

Podcasts

Im Rahmen des Projekts „Spuren des Kolonialismus in Oldenburg“ entstanden in den Jahren 2022 und 2023 insgesamt 16 Podcasts, die hier zum Anhören eingestellt sind. Sie umfassen Gespräche und Interviews mit Oldenburger Bürger*innen, Vortragenden der Veranstaltungen sowie Aufzeichnungen einiger Vorträge.

05 Ein Gespräch mit Ulrich Linser, dessen Großeltern Dina und Heinrich Linser in Deutsch-Südwestafrika lebten
06 Ein Gespräch mit Hans Jürgen Linser, Enkel von Dina und Heinrich Linser
07 Ein Vortrag mit anschliessender Diskussion mit dem Herero-Aktivisten Israel Kaunatjike
08 Ein Gespräch mit Dr. Ingo Elbe, Privatdozent für praktische Philosophie an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg über multidirektionale Erinnerung an Kolonialverbrechen und den Holocaust
09 Aufzeichnung des Vortrags von Dr. Susann Lewerenz, Leiterin der Abteilung Bildung und Studienzentrum der KZ-Gedenkstätte Neuengamme über Schwarze Menschen im Nationalsozialismus
10 Ein Gespräch mit Dr. Kolja Lindner von der Université Paris 8 über den Vorwurf des Eurozentrismus an Karl Marx
11 Eine Aufzeichnung des Vortrags von Dr. Susanne Kuss von der Universität Bern über den Herero- und Namakrieg
12 Ein Gespräch mit Dr. Susanne Kuss über ihren Vortrag und den Herero-und Namakrieg
13 Ein Gespräch mit Roland Röder von der Aktion 3. Welt Saar über den Mythos Paul von Lettow-Vorbeck
14 Ein Gespräch mit Gertrud Selzer von der Aktion 3. Welt Saar über rassistische AfrikaBilder in Kinderbüchern
15 Eine Einführung von Herero-Aktivist Israel Kaunatjike und Werkstattfilm-Mitarbeiter Kevin Schreiber zur Ausstellungseröffnung am 20.08.2023
16 Ein Gespräch mit einer Besucherin der Ausstellung mit familiären Beziehungen zu Deutsch-Südwestafrika

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